Yokai-Jägerin Meiko

Nach der Schlacht wachsen Blumen. Meiko war eine dieser Blumen, getränkt mit Blut, geprägt von Gräueltaten, aber nicht von ihnen definiert. Als bescheidene Kensei, die sich dem Schutz ihres Volkes verschrieben hatte, war Meiko eine beliebte Kriegerin und eine der wenigen, die sich die Zeit nahm, die seltenen Schönheiten in dieser rauen Welt zu genießen. Dies war wahrscheinlich auch der Grund, warum sie meistens mit einem Lächeln im Gesicht gesehen wurde – sogar mitten in der Schlacht. Da war ein Funke in ihren Augen, der niemals getrübt werden konnte, egal unter welchen Umständen. Aber Meikos Belastbarkeit wurde auf eine harte Probe gestellt, als die Yokai aus ihrem Gefängnis befreit wurden.

Nachdem sie viele Generationen im Verborgenen verbracht hatten, wurden nun die monströsen Dämonen auf das Land Myre losgelassen. Als Meikos jüngerer Bruder Motoori entführt wurde, veränderte sich etwas in ihr. Der Funke wurde dunkler und das Lächeln verschwand. Um sich den Yokai zu stellen, nahm Meiko die Verantwortung auf sich, den Mamono-Dolch zu führen. Diese Klinge war die einzige Waffe, mit der die Yokai getötet werden konnten, doch wer sie führt, zahlt einen hohen Preis dafür. Jeder Yokai, der mit dem Dolch getötet wurde, blieb darin gefangen. Je mehr er tötete, desto mächtiger wurde er. Und desto mehr wurde er zur Bedrohung für die Person, die ihn führte. Aber Meiko hatte keine Wahl. Wenn sie ihren Bruder retten wollte, musste sie sich diesen Dämonen stellen. Denen in der Außenwelt ebenso wie denen im Innern.

Die Geister der Qual

Teil I.

Motooris Schritte platschten in den nassen Boden hinter ihr. Sie schaute ihren Bruder an und dachte daran, dass er sich jetzt um sich selbst kümmern konnte. Jetzt konnte Meiko nichts anderes tun, als direkt auf die schwere Holztür vor sich zu starren, die trotz aller Bemühungen, so schnell wie möglich zu laufen, immer noch viel zu weit weg schien. Ihr ganzes Leben lang war sie für ihren Bruder verantwortlich gewesen. Nachdem sie ihre Eltern schon sehr früh verloren hatten, hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht, ihn aufzuziehen. Sie hatte sich um ihn gekümmert, Waren für ihn getauscht und immer dafür gesorgt, dass er ein Dach über dem Kopf hatte. Sie war es auch, die ihm beigebracht hatte, wie man kämpft – eine Entscheidung, die sie traf, nachdem der junge Motoori eines Tages geschlagen und blutüberströmt nach Hause kam, seine Wangen mit getrockneten Tränen bedeckt. Heathmoor war ein erbarmungsloser Ort, und sie würde dafür sorgen, dass er die Kraft und die Fähigkeiten haben würde, in dieser Welt, in der alles darauf abzielt, dich zu zerstören, aufrecht zu gehen und zu bestehen.

Doch das war lange her. Motoori war inzwischen ein erwachsener junger Mann. Er war ein mächtiger Orochi und sie eine stolze Kensei. Und doch waren sie wieder hier und rannten wie verängstigte Kinder. Alles, woran sie denken konnte, war, ihren Bruder zu beschützen. Die Tür war zu weit weg. Sie würden es nicht rechtzeitig schaffen. Sie mussten tun, was sie Motoori gelehrt hatte: standhaft sein und kämpfen. Sie gab ihm das Signal, und er klopfte schnell auf ihre Schulter, ein stilles Zeichen des Einverständnisses, das sie als Kinder perfektioniert hatten. Meiko stemmte ihre Füße fest in den Boden und drehte sich, so dass Motoori an ihr vorbeihuschen und sie seitlich umkreisen konnte. Beide Geschwister zogen ihre Schwerter in einer einzigen, fließenden Bewegung.

Auch wenn sie genau wusste, was auf sie zukam, spürte Meiko immer noch eine große Angst, als sie sie ansah. Die beiden Kreaturen trugen Samurai-Rüstungen, aber das war auch schon das einzige Menschliche an ihnen. Ihre Haut war verfärbt. Ihre Gesichter waren bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Ihre Augen leuchteten in einem unnatürlichen Licht. Und dann ihr Kreischen … Ihr Kreischen hätte selbst die tapfersten Krieger der Geschichte mit lähmender Angst erfüllt.

Die beiden besessenen Samurai näherten sich mit abgehackten Bewegungen, nur unterbrochen vom Geräusch knackender Knochen. Einer von ihnen ließ die Spitze seiner Klinge über den Boden schleifen, als ob die Waffe zu schwer für ihn wäre. Doch der untote Angreifer hatte keine Mühe, sie hochzuheben und gegen Meiko zu schwingen, die den Angriff mit großer Präzision blockte.

Der Yokai schrie sie an, ein verstörendes und beklemmendes Heulen, das noch Meilen entfernt schlafende Kinder wecken würde. Meiko schnitt ihrem Gegner den Arm ab, doch er wurde dadurch nicht langsamer oder wich zurück. Er kam immer weiter auf sie zu, mit gefletschten Zähnen und scharfen Krallen an den Fingern. Und was war das für ein verstörendes Geräusch aus seiner Kehle? War das ein Lachen?

Neben sich konnte Meiko sehen, wie Motoori gegen seinen Gegner kämpfte. Auch sein Kampf schien aussichtslos zu sein. Als sie jünger waren, hatten Meiko und Motoori Geschichten über die Yokai gehört – Dämonengeister aus einem anderen Reich, die in der Lage waren, von Objekten und Menschen Besitz zu ergreifen. Sie wurden vor langer Zeit von ihren Vorfahren zurückgeschlagen und in einer Höhle mit einem verzauberten Stein am Ausgang in Schach gehalten. Früher war es eine beliebte Mutprobe unter den Kindern, mitten in der Nacht in den Wald außerhalb des Dorfes zu gehen, und das Steinsiegel zu berühren. Die junge Meiko hatte sich der Herausforderung gestellt – aber Motoori nicht. Er war noch zu jung. Und zu ängstlich. Aber das waren Geschichten für Kinder. Gute-Nacht-Geschichten, damit sie unter ihren Decken blieben. Niemand hat wirklich an die Yokai geglaubt. Nicht mehr.

Aber jetzt waren sie hier. Erwacht. Gefräßig. Und nicht zu töten.

„Wir brauchen den Dolch“, rief ihr Bruder. Und sie wusste, dass er recht hatte. Man konnte die Yokai nicht aufhalten. Nicht mit Schwertern. Sie brauchten den Mamono-Dolch. Noch so eine Geschichte. Noch so ein Mythos. Die einzige Klinge, die, wenn man den Legenden Glauben schenken konnte, diese Monster töten konnte.

Im Gerangel der Schlacht wurde Meiko zurückgestoßen, weggeschleudert und von ihrem Bruder weggezerrt. Sie konnte ihn immer noch gegen die Yokai kämpfen hören, aber sie war zu sehr damit beschäftigt, den wütenden Angriffen ihres eigenen Gegners auszuweichen. Zumindest bis die Kreatur plötzlich aufhörte. Da stand sie, reglos, wie eine einsame Vogelscheuche aus der Hölle. Meiko konnte sich nur kurz erholen, als eine bedrohliche Stille über sie hereinbrach – und wie es schien, über das ganze Dorf. Ein kaum zu hörendes Rascheln erschreckte sie. Kam das von hinten? Oder von oben? Sie wandte sich um und blickte ins Nichts. Sie wandte sich wieder um. Der einarmige Yokai war verschwunden. Er hatte sich in die Dunkelheit zurückgezogen. Für einen Moment war Meiko verwirrt. Was könnte etwas, das aus der Angst selbst geboren wurde, so erschrecken? Die plötzliche Stille wurde dann von einem Geräusch durchbrochen, das Meikos Herz fast aus ihrer Brust springen ließ. Der Klang ihres eigenen Namens, verzweifelt gerufen von ihrem Bruder.

„Motoori“, rief sie.

Meiko rannte zu ihrem Bruder zurück – dorthin, wo sie zuletzt die Tür gesehen hatte, die die Geschwister nie erreicht hatten. Aber da war kein Yokai. Und kein Motoori. Alles, was sie fand, war der Helm ihres Bruders. Und er war mit etwas bedeckt … Spinnweben? Konnte das sein? Konnte das tatsächlich sie sein? Noch so eine Geschichte. Vielleicht die schlimmste von allen. Eine, die, wenn sie wahr ist, ihr nur wenig Zeit ließ.

Ihr Bruder war verschwunden. Sie würde ihn finden. Sie würde ihn finden, auch wenn es das Letzte wäre, was sie je tun würde.

Aber zuerst brauchte sie eine Waffe. Sie brauchte den Dolch.

Teil II.

Das alte Haus starrte von der Spitze des Hügels auf sie herab und sie wagte es kaum, seine Schwelle zu überqueren. Meiko ging vorsichtig den ausgetretenen Pfad entlang, flankiert von hohem Gras, das sich keinen Zentimeter bewegte. Es war vollkommen still, und die einzigen Geräusche, die die schwarze Beklemmung des Augenblicks erfüllten, waren das Zirpen entfernter Insekten und das Quaken unscheinbarer Frösche, die sich von den Missionen des Menschen nicht stören ließen. Meiko ging die knarrende Holztreppe hinauf, die zur Veranda führte. Erst dann zog sie ihr Schwert, bevor sie das zerfetzte, schmutzig-braune Tuch, das als Tür diente, zur Seite schob und das Haus betrat.

Es war erst zwei Tage her, dass Motoori verschwunden war, aber für Meiko fühlte es sich schon viel länger an. Immer mehr Yokai wüteten im ganzen Dorf. Die wahre Bedeutung von unbändigem Terror hatte die Menschen ereilt. Die meisten hatten sich in ihren Häusern verschanzt. Und diejenigen, die sich nach draußen wagten, verschwanden entweder oder wurden schreckliche Geister, Wirte für die lebenden Toten. Meikos erste Station war der Altar des Mamono-Dolchs gewesen, doch sie war schockiert, als sie ihn leer vorfand. Ein anderer Krieger hatte das Relikt in einem vergeblichen Versuch, das Dorf von den Yokai zu befreien, bereits an sich genommen. Dieser Krieger war seitdem verschwunden, und Meiko hatte ihre ganze Zeit damit zugebracht, seine Schritte zurückzuverfolgen – bis sie schließlich das einsame Haus auf dem einsamen Hügel gefunden hatte.

Die Dielen ächzten unter jedem Schritt und kündeten von ihrem quälend langsamen Fortschritt im Haus. Keine Bewegung wurde verschwendet. Aufmerksam bei jedem Staubflimmern, das in den blassen Reflexionen des Mondlichts schwebte, untersuchte Meiko ihre Umgebung und suchte nach Hinweisen auf den Aufenthaltsort des Dolches. Ein unheimliches Lachen ließ sie erstarren. Sie kümmerte sich nicht um den kalten Schweiß, der über ihren Rücken lief. Sie konnte es sich einfach nicht leisten, der Angst nachzugeben. Alles, was zählte, war ihr Preis. Da war das Lachen wieder. Es kreiste um sie herum, driftete erst weit weg von ihr durch den Raum, dann schien es plötzlich nur wenige Zentimeter von ihrem Ohr entfernt. Aber sie konnte nichts erkennen. Sie ging weiter, beide Hände fest um den Griff ihres Schwertes gelegt. Sie ging an umgestürzten Stühlen, zerbrochenen Töpfen und blutverschmierten Lumpen vorbei. Hier hatte seit Jahren niemand mehr gelebt. Aber jetzt war es das Zuhause von jemandem. Und dieser Jemand war sehr begierig darauf, einen Gast zu begrüßen.

Das Lachen erstarb, doch bevor sich Meiko an die Stille gewöhnen konnte, hörte sie die Schreie eines Säuglings. Trotz aller Bemühungen, folgte sie den Klängen in den nächsten Raum – der früher eine Küche voller Wärme und Lachen gewesen sein musste. Doch statt eines Esstisches starrten Meikos Augen gebannt auf das, was nun in der Mitte des Raumes stand: eine Holzkrippe – die Quelle der immer lauter und beunruhigender werdenden Schreie, die Meiko hörte. Sie erkannte es sofort. Es war genau wie das Bettchen, in dem ihr Bruder nach seiner Geburt geschlafen hatte.

„Motoori“, flüsterte sie, nachdem sie das Bettchen erreicht hatte. Was auch immer drin lag, Meiko konnte es nicht sehen, es war mit einer Decke zugedeckt. Sie versuchte, den fast ohrenbetäubenden Schreien ein Ende zu setzen und entfernte die Decke – aber es war nichts darunter. Nichts als Spinnweben, die an ihren Händen klebten. Entsetzt wischte sie sie ab und drehte sich um, bereit zur Flucht – doch da war plötzlich ein monströses Gesicht mit strahlend weißen Augen, das sie anbrüllte. Schreiend stolperte Meiko rückwärts, fiel über das Bettchen und stürzte zu Boden.

Der Geist, der sie quälte, nahm vor ihr Gestalt an. Es bildeten sich längliche Beine, die es ihm erlaubten, zu stehen, und dünne lange Arme, die leblos an seinen Seiten hingen. „Du kannst ihn nicht retten“, sagte das Ding mit einer dumpfen und rauen Stimme. „Sie hat ihn.“ Es kam einen Schritt auf sie zu. „Bald ist es vorbei.“ Und noch einen. „Armer kleiner Bruder.“ Und noch einen. „Armer, armer Motoori.“ Und noch einen. „Der Mutter ausgeliefert.“

Unfähig, ihre Augen vom Yokai abzuwenden, suchten Meikos Hände unermüdlich nach dem Schwert, das sie fallen gelassen hatte. Sie hastete zurück und versuchte, sich etwas Zeit zu verschaffen, bis ihr etwas auffiel. Hinter dem wandelnden Geist, neben dem umgestürzten Bettchen. Ein Schimmern inmitten der weißen Decken. Der Schimmer einer Klinge. Der Mamono-Dolch.

Die Kreatur schwang ihre langen Arme nach ihr, aber Meiko sprang aus dem Weg. Mit einem Purzelbaum erreichte sie den Dolch und zögerte nicht, ihn aufzunehmen. Mit festen Griff und ihrem Ziel im Blick stach Meiko den Dolch direkt in die Brust des Yokai. Das Monster kreischte qualvoll, als seine Lebenskraft aus seinem Körper in den Dolch gesaugt wurde. Als es verschwunden war, kehrte die Stille zurück und Meiko fiel auf die Knie.

Die Klinge schimmerte blau in ihrer Hand, als ein neuer Herzschlag in ihrer Seele Wurzeln schlug und an ihrem Arm entlang glitt. Das Monster, das sie gerade getötet hatte – sie konnte es fühlen, wie es sich wand und drohte, sich zu befreien. In diesem Moment wusste sie, dass die Legende wahr war. Der Dolch war nicht nur eine Waffe – er war auch ein Gefängnis für die Dämonen, die er tötete. Und je länger jemand ihn festhielt, desto länger musste er darunter leiden. Aber das war egal. Wenn das der Preis für die Befreiung ihres Dorfes wäre – für die Rettung ihres Bruders – dann würde sie ihn gerne zahlen.

Sie hatte keine Zeit mehr zu verlieren. „Ich komme, Bruder“, flüsterte sie. „Halte noch etwas durch.“

Teil III.

Meiko verstand kaum, wo sie war oder was sie tat. Um sie herum schrien Menschen, riefen einander Befehle zu, während ein schreckliches Kreischen die Luft durchschnitt. Ein brennender Körper rannte an ihr vorbei, aber alles war wie in Zeitlupe. Sie wusste nicht mehr, was real war und was nicht. Der Nebel brannte auf ihrer Haut. Jede Bewegung, jeder Schritt nach vorne war eine Qual. Die Dämonen hatten auf ihrer Haut Gestalt angenommen, und sie kämpften in ihrem Inneren, gegeneinander – und gegen sie – um die Kontrolle.

Nachdem sie den Dolch in dem einsamen Haus gesichert hatte, war sie auf den Kriegspfad gezogen und hatte ein halbes Dutzend Dämonen getötet, von denen jeder erschreckender war als der letzte. Wie die Legenden besagten: Je mehr Yokai die Klinge zerstörte, desto stärker wurde sie. Und das stimmte. Sie konnte die Kraft spüren, die durch ihren ganzen Körper strömte, ein wütender Sturm, der sich von seinen fleischlichen Begrenzungen befreien wollte. Mit jedem getöteten Dämon wurde sie mächtiger. Aber sie verlor sich selbst immer mehr. Die Dämonen sprachen mit ihr. Schrien. Bettelten. Jammerten. Sie luden sie ein, zu ihnen in die Schatten zu kommen. Und mit jeder Sekunde, die verging, wurde die Versuchung größer und größer. Es wäre so einfach, zu gehen. Ihnen nachzugeben. Sie übernehmen zu lassen. Aber sie konnte nicht. Nicht, wenn sie schon so nah dran war.

Der höllische Schrei der Kreatur warnte sie vor einem kommenden Angriff, und Meiko reagierte instinktiv. Ein kurzer Moment der Klarheit, der schwarze Schleier lüftete sich, zog sie zurück ins Hier und Jetzt – und zu dem greifbaren Alptraum, dem sie gegenüberstand: der Spinne. Größer als jeder Mensch und jedes Tier. Mit Beinen so dick wie Bäume und Klauen schärfer als die tödlichsten Schwerter. Die Masken ihrer Opfer hingen von ihrem enormen Körper. Und auf dieser monströsen Erscheinung saß der Oberkörper einer Frau, ihr maskiertes Gesicht von seidig weißem Haar umspielt. Sie wäre auf eine seltsame Art schön gewesen, wenn sie nicht das Schrecklichste gewesen wäre, das Meiko je gesehen hatte. Jorogumo. Die Königin des Gemetzels. Die Mutter der Dämonen.

Meiko konzentrierte sich auf den Dolch in ihrer Hand. Den kühlen Griff in ihrer Handfläche. Das Gewicht, das gleichzeitig unglaublich leicht und unglaublich schwer war. Das Gefühl jeder Kerbe, jeder Unvollkommenheit an ihren Fingern. Die widerhallenden Stimmen wurden klarer. Es waren nicht die Stimmen der Yokai – sondern die der Krieger, die sich entschieden hatten, an ihrer Seite zu kämpfen. Meiko konnte sich nicht an ihre Namen erinnern. Aber sie kannten ihren. Sie riefen nach ihr und baten sie um Hilfe. Genau in diesem Moment erinnerte sie sich, wo sie war – mitten auf dem Marktplatz – und warum.

Mit ihren acht Beinen bewegte sich die Spinne mit einer seltsamen Anmut, die fast hypnotisierend wirkte. Eine surreale Schönheit, die nur der Vorgeschmack auf das kommende Gemetzel war. Ein Krieger wurde direkt vor Meikos Augen in zwei Teile gerissen. Ein anderer wurde in die Luft geworfen und jeder Knochen in seinem Körper zersprang beim Aufprall. Jemand wurde von einem rasenden Feuerball getroffen, kurz bevor ihm der Kopf abgetrennt wurde. Über und über mit dem Blut der Gefallenen bedeckt, erkannte Meiko, dass sie weinte. Sie konnte nur nicht sagen, ob es ihre Tränen waren, oder die der Dämonen in ihr.

Mit jedem Krieger, der starb und sich selbst in der unwahrscheinlichen Hoffnung opferte, dass sie gemeinsam das Undenkbare besiegen würden, näherte sich Meiko der Jorogumo – bis sie so nah war, dass sie den faulen, heißen Geruch der Spinne wahrnehmen konnte. Die Klinge zitterte in ihrer Hand. Die Waffe kämpfte gegen sie an und hielt sie zurück. Die Stimmen der Yokai strömten zurück in ihren Kopf, eine rasende Strömung, die nicht länger eingedämmt werden konnte. Sie wollte sie anschreien, um ihnen zu sagen, dass sie sie in Ruhe lassen sollten. Sie versuchte sich wieder auf das zu konzentrieren, was wichtig war – warum sie das alles überhaupt tat. Motoori. Sie dachte an seine Stimme, seine Stärke. Sie dachte an seine Güte. Seinen Widerwillen, sich der Höhle zu nähern, als sie klein waren. Seinen Eifer, sich selbst zu beweisen, indem er die „Nacht der Wehklagen“ aufführte. Ihre Liebe zu ihm. Das war alles, was sie brauchte.

Mit dem letzten bisschen Kraft, das ihr geblieben war, mit der Stärke der mächtigen Kensei, stieß sie den Dolch in das Herz der Spinne. Die Kreatur stieß einen durchdringenden Schrei aus, während ein lebendig wirkendes, blaues Licht aus ihrem Körper emporstieg und von der Klinge absorbiert wurde. Das letzte Echo der Schreie erlosch, Meiko fiel auf die Knie, das Licht verblasste und alles war vorbei.

Sie lag auf dem Boden, kämpfte gegen Krämpfe, jeder Knochen in ihrem Körper drohte zu brechen. Sie konnte ihr eigenes Blut in der Hand spüren, ihr Griff um den Dolch war so fest, dass er mit ihrer Haut verschmolzen schien. Ihre Sicht begann zu verschwimmen. Sie hatte nicht viel Zeit. Von irgendwoher erschien Motoori vor ihr, und sie war dankbar für diesen letzten Anblick, geboren aus Liebe und nicht aus Grauen. Dann erkannte sie, dass es keine Illusion war. Motoori war hier. Er war real. Seine Haare und Kleider waren mit Spinnweben bedeckt. Sie wusste nicht, welcher ihrer Verbündeten ihn aus dem Spinnennest befreit hatte. Aber das war egal. Sie hatte es geschafft. Er war am Leben. Er war in Sicherheit. Sie hatte ihr Versprechen gehalten.

Mit Tränen in den Augen nahm Meiko ihren Bruder in die Arme. Die Geschwister waren wieder vereint. Wenn auch nicht für lange.

„Motoori", sagte Meiko und ihre Stimme zitterte zwischen jeder Silbe. „Du musst etwas für mich tun.“

***

Jeder im Tempelgarten kennt die Geschichte der Kensei Meiko, die alles geopfert hat, um ihren Bruder zu retten – und ihr Dorf. Nachdem sie die als Jorogumo bekannte Kreatur getötet hatte, wurde erzählt, dass Meiko, aus Angst, dass sie selbst zu einer unaufhaltsamen Yokai werden könnte, ihren Bruder bat, sie in der Höhle, die einst als Gefängnis der bösartigen Dämonen gedient hatte, einzusperren und den Eingang zu versiegeln.

Heute fordern sich die Kinder wieder gegenseitig dazu auf, das Steinsiegel zu berühren. Aber nicht die Angst treibt sie dazu. Sie alle erweisen ihren Respekt und bewundern den Mut von der, die sie die Yokai-Jägerin nennen.

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